Neuerlich beeindruckte uns die junge Schauspielerin Bettina Mittendorfer tief. Ausdrucksstark setzte sie drei bayerische Amazonen in Szene. Im Reichenhaller Tagblatt gab es dafür ebenfalls eine tolle Kritik. Hier der Bericht von Katharina Stockhammer vom 24.9.2011

 

Denkmal für drei unvergessene bayerische Amazonen

 

Bettina Mittendorfer schlüpfte in die Rollen

der Lena Christ, Zenzl Mühsam und Liesl Karstadt

 

BAD REICHENHALL – Es ist keine leichte Kost, die die junge Schauspielerin Bettina Mittendorfer ihrem Publikum in ihren eigenen Bühnenprojekten näher bringen will. Nach dem zuletzt im Magazin 4 vorgestellten „Ein Kind“ von Thomas Bernhard, sind es diesmal „Drei bayerische Amazonen“, denen die ambitionierte Künstlerin ein abendfüllendes Programm widmet.

Geschrieben hat das Bühnenstück Michaela Karl. Sie ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Schriftstellerin aus Niederbayern und hat vor ein paar Jahren mit einem hervorragend recherchierten Buch insgesamt zwölf „Amazonen“ ein Denkmal gesetzt: Portraits von Frauen aus zwei Jahrhunderten, die mit viel Mut und Persönlichkeit die Grenzen der traditionellen Geschlechterrollen sprengten.

Drei der Rebellinnen, Lena Christ, Zenzl Mühsam und Liesl Karlstadt hat sie sich herausgepickt. Mit ihrem Stück will sie, wie sie in ihrer kurzen Begrüßung erläutert, einen würdigen Rahmen schaffen, ein schleichendes Vergessen dieser Kämpferinnen zu verhindern. „Amazonen waren zu allen Zeiten die Schrecken der Männer. Ihr Ziel war stets dasselbe: Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung. Unsere drei Amazonen stellten zu ihren Lebzeiten einen neuen Frauentypus dar: nicht immer liebenswert, aber immer ehrlich zu sich selbst.“

 

Von der eigenen Mutter gequält

 

Das traurige Schicksal einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts, der in Glonn bei Ebersberg geborenen Lena Christ, zieht die Zuhörer im Magazin 4 von Anfang an in ihren Bann. Das liegt vor allem an der packenden Spielweise von Bettina Mittendorfer. Herzzerreißend verkörpert sie die am Ende ihres schweren Lebensweges angekommene Dichterin. Auf dem Münchner Waldfriedhof schildert sie ihr Unglück, spricht direkt die Mutter an, von der sie zeitlebens nie Liebe, sondern nur Grausamkeit und Kälte erfahren hat. Schläge, Tritte und immer wieder psychische Gewalt quälen sie als Mädchen und als erwachsene Frau. Freilich erlebt sie auch schöne Momente, beispielsweise als Jungköchin in der Floriansmühle in München, wo sie das umschwärmteste „Dirndl“ im Haus ist. Dies ausdrückend begleitet die Passauer Musikerin Gerlinde Feicht die singende Bettina Mittendorfer am Akkordeon bei einem fröhlichen Lied. Doch bleiben diese Augenblicke rar.

Dank der Unterstützung durch ihren zweiten Ehemann, dem Literaten Peter Benedix, beginnt Lena Christ mit dreißig Jahren zu schreiben. Sie schafft wunderbare authentische Werke über das Leben in jener Zeit – wer kennt nicht ihre „Rumpelhanni“ - und kann mit ihrem Talent kurzfristig sogar Geld verdienen. Doch der dunkle Schatten der Mutter holt sie auch jetzt noch ein.

Als letzter Befreiungsschlag gegen diese dominante Frau, als Ausweg in einem zermürbenden Kampf um die nackte Existenz, bleibt Lena nur der Selbstmord. „Die letzte Entscheidung treffe ich selbst, gehe den letzten Gang allein“ rezitiert Bettina Mittendorfer ergreifend. Wie sie pointiert „die Christ“ darstellt, mal hysterisch, mal rastlos überdreht, dann wieder weinend und dem Zusammenbruch nahe, jagt dem Publikum Schauer über den Rücken.

Neue Szene: Bettina Mittendorfer und Gerlinde Feicht singen die „Internationale“ und schwenken die rote Fahne, Zenzl Mühsam hat ihren schwungvollen Auftritt. Doch auch bei dieser Amazone ist es nur eine kurze, stürmische Zeit des Glücks, bevor sich ihr Leben in das pure Grauen verwandelt.

Als Witwe des Schriftstellers und Anarchisten Erich Mühsam muss sie nach dessen Ermordung im KZ Oranienburg über Prag nach Moskau fliehen. Sich in Sicherheit wähnend, will sie dort Mühsams Werke dem Maxim-Gorki-Institut für Internationale Literatur übergeben. Doch Stalin und sein Regime sehen in den Schriften eine „konterrevolutionäre trotzkistische Agitation“, Zenzl wird inhaftiert. Das Mädel aus der Hollertau, von der ihr Ehemann behauptete „diese Frau hat mir der Himmel geschickt“, weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Fast 20 Jahre wird sie in sowjetischen Straflagern verbringen, ehe sie im hohen Alter in die DDR ausreisen darf.

Michaela Karl schildert aus dem von ihr verfassten Portrait die Odyssee der aufrechten Oberbayerin durch Sibirien.

 

Standhaft bis in den Tod

 

Danach hat Bettina Mittendorfer ihren Auftritt als Zenzl, die in einem Moskauer Gefängnis auf die Ausreisegenehmigung wartet. Sie ist unschuldig zwischen die verschiedenen kommunistischen Strömungen geraten, wird verraten und verleumdet. Endlose Verhöre und Folter können ihre Standfestigkeit, die Liebe zu ihrem verstorbenen Gatten und die Hochachtung vor seinem literarischen Werk nicht brechen. Zuletzt schmettert Zenzl ihren Zuhörern durch Bettina Mittendorfer noch ein letztes kämpferisches Zitat aus dem Gedicht ihres Mannes, „Der Gefangene“, entgegen: „Doch ob sie mich erschlügen – sich fügen heißt lügen!“

Als burschikoser „Luggi von der Au“ stürmt die gebürtige Bad Grießbacherin nun auf die Bühne. Die letzte Rolle des Abends widmet Bettina Mittendorfer der „traurigen Komödiantin“ Liesl Karlstadt.

Diese ist im München zur Zeit des Ersten Weltkriegs bereits eine berühmte Schauspielerin, wenngleich sie viele Jahre im Schatten ihres Bühnenpartners Karl Valentin steht und viel zu oft Männerrollen spielen soll. Mittendorfer und Feicht können hierbei die Gelegenheit nutzen, um noch einmal ihr musikalisches Talent unter Beweis zu stellen. Herrlich das Duett vom „Edelweiß“ und der Zungenbrecher „Liesl singt chinesisch“!

 

Aus verzweifelter Liebe in der Psychiatrie

 

Weil Karl Valentin auch ihr Geliebter ist und sich trotzdem nie zu ihr bekennt,  erlebt die Liesl Karlstadt eine tiefe Verzweiflung, verübt einen Selbstmordversuch. Der Aufenthalt in der Psychiatrie ist unausweichlich. Doch sie gibt nicht auf und nach Valentins Tod beginnt sie an den Münchner Kammerspielen und am Residenztheater ein eigenständiges künstlerisches Leben. Krönender Abschluss der Inszenierung über die Karlstadt ist deren unvergleichliche Parodie auf Hitlers Reden, „die deutsche Laugenbrezel“.

Michaela Karl bleibt das Schlusswort. „Diese Amazonen sind eine Herausforderung für uns Nachgeborene. Vorbilder auch im Scheitern; nicht immer Siegerinnen, aber immer Kämpferinnen!“ Bettina Mittendorfer, Michaela Karl und Gerlinde Feicht ernten für ihre engagierte Darbietung lang anhaltenden Applaus. Das interessierte Publikum hat zur höchst professionellen Schauspielkunst ganz nebenbei eine gehörige Portion Zeitgeschichte erleben dürfen.